Aufstieg und Fall der Laura Müller (official)

Die als Lachfigur, Golddigger oder Naivchen belächelte Laura Müller hat eine steile Karriere zur Influencerin hingelegt: Der Blick auf den medialen Auf- und Abstieg von Deutschlands liebgehasstem IT-Girl verrät viel über Promikultur – und über uns.

Als die 18-Jährge Laura Müller sich in Schlager-Star Michael Wendler verliebt, wird sie über Nacht zum Lustobjekt deutscher Medien, die mit gleichem Maße Entsetzen und Geilheit auf den Altersunterschied des Paares reagieren. Als Naddel oder Jenny Elvers der Millenials ist Laura Müller die Reinkarnation einer totgeglaubten Figur der 90er und 00er Jahre: die geldhungrige Promi-Freundin, deren Kleidung generell zu knapp ist und deren Liebe niemals nicht echt sein kann. Frei nach dem Motto „(L)Egal!“ bestehen Laura und Michael auf ihre Liebe und hüpfen in den ersten Jahren ihrer Beziehung munter durch die Reality TV Formate Deutschlands.

Aber wie erklärt sich der Sprung vom Promipaar zum heiß begehrten Gast der Privatsender? Reality TV ist ja im wahrsten Sinne des Wortes Bildungsfernsehen, das uns auf unauffällige und manchmal sehr auffällige Weise mitteilt, was okay ist und was nicht. Und wer könnte da besser ins Format passen als Menschen, die so sichtbar die Grenzen des ‚Normalen‘ überschreiten? Wenn Michael Wendler über das „Kinderzimmer“ seiner Geliebten spricht (wie in Goodbye Deutschland) oder einem anderen Teilnehmer im Sommerhaus der Stars erklärt „Mit 15 sind die (Frauen) doch schon fertig!“, dann wissen wir: Es ist nicht okay, was da gerade passiert. Reality TV ist Werteerneuerung für das Volk um 20:15 Uhr. Wir lernen: Eine gute Beziehung ist auf Augenhöhe. Krasser Altersunterschied? Geht gar nicht! Echte Liebe? Ist es nicht, wenn man daraus Kapital schlägt, wie eben der Wendler und seine Laura. Eine gängige These, warum man Reality TV, gerne auch Trash TV, schaut, ist, dass man sich angesichts des Wahnsinns auf dem Bildschirm dabei ‚besser‘ fühle. Promis sind also perfekt dazu geeignet, um unser Identitätsgefühl zu bestärken, und deswegen lieben wir es, sie zu hassen. Sie zeigen uns wer wir sind, weil wir nicht sind wie sie. Zum Glück bin ich nicht so naiv und künstlich wie Laura, nicht so verstrahlt und schmierig wie Michael.

Famous for being famous

Einhergehend mit unserer Verachtung von Promis ist auch das Gefühl, dass sie eben völlig unverdient berühmt sind. Parallel zu Reality Karriere wuchs der Marktwerk von Laura Müller. Aber was hatte sie schon für ihre Werbedeals auf Instagram, Verträge mit RTL und das süße Leben am Pool in Southwest Florida geleistet? Als „famous for being famous“ stempeln wir Menschen ab, die scheinbar ohne erkennbaren Grund oder Zufälle wie ein Techtelmechtel oder eine Verwandtschaft mit der richtigen Person im Licht der Öffentlichkeit stehen (wir denken an Paris Hilton oder Kim Kardashian). Als ‚wahre‘ Stars gelten im Gegensatz dazu die, die durch ihre Fähigkeiten Ruhm erlangen (Musiker*innen oder Model beispielsweise). Nur wie zufällig kann man eigentlich Promi werden? Elisabeth Wissinger hat den Begriff des „glamour labors“ (zu dt. Glamour Arbeit) geprägt und fasst damit die Arbeit, die wir gerne übersehen. Laura Müller gibt Interviews, lässt sich in diversen TV-Formaten öffentlich erniedrigen, filmt sich, während sie sich etliche Kuren in die Haare schmiert und gibt permanente Einblicke in ihre Beziehung. Ihr Privatleben – oder das, was wir davon mitbekommen – ist ihr Kunstwerk und Deutschland steht Schlange, um es zu sehen.

Es kommt nicht von Ungefähr, dass wir gerade Frauen vorwerfen aus Glück (oder Unglück) berühmt geworden zu sein. Wie die Gesellschaft im Ganzen Frauen Abhängigkeitsverhältnisse zuschreibt, Handlungsfähigkeiten verkennt und Ausnutzung diagnostiziert, so wird auch Laura Müller vorgeworfen, sie sei aus Versehen zur Influencerin mit 600.000 Followern geworden, wurde zufällig von einem der größten Privatsender angefragt, ihre Hochzeit live zu streamen und in die stärkste Playboy-Auflage seit Langem ist sie eben einfach so reingerutscht.

Pandemie als Karrierekiller

In guten wie in schlechten Zeiten; wer hätte nur gedacht, dass die schlechten Zeiten so schnell kommen und Attila Hildmann involvieren? Die mehr oder weniger unerwartete Meldung zu Wendlers DSDS Ausstieg und seiner damit verbundenen Kritik an den Corona Maßnahmen der Bundesregierung schlug hohe mediale Wellen. Sein Sinneswandel stellt einen Bruch in der deutschen Medienwelt dar. Nachdem drei Jahre lang TV Sender und Printmedien um den Schlagerstar buhlten, der definitiv einen Peinlichkeitsfaktor und damit Quoten generieren würde, sind nun alle gezwungen, sich zu distanzieren, Verträge aufzulösen, bereits gedrehte Clips einzustampfen. Blöd gelaufen. Und die Frage, die sich daran unmittelbar anschließt, lautet natürlich: Was passiert mit Laura? Ihr Schicksal scheint an seins gekoppelt zu sein. Schließlich ist sie ja abhängig und existiert gar nicht ohne ihren Mann! Also doch ein Abhängigkeitsverhältnis?

Ja – aber eines, was weniger mit Lauras vermeintlich unverdientem Ruhm oder ihrer Beziehung zu Michael zusammenhängt. Laura ist nicht abhängig von ihrem Ehemann. Sie ist abhängig von der Ökonomie, die darauf fußt, dass wir alle – Z-Promi oder Arbeitnehmerin, Freelancer oder Arbeitssuchende – uns selbst zur Ware machen. Wir versuchen uns als effizient, fit und sexy auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen, wir ‚networken‘ und lassen Grenzen zwischen Lohnarbeit und Privatem zerfließen. Und auch Lauras Story, ihre Beziehung, das Jet-Set-Life – all das war ihr Kapital, auf das sie Instagramfilter legte und für uns alle konsumierbar machte. Die Selbstvermarktung von Promis ist nur die extreme Form eines gesamtgesellschaftlichen Trends, der uns alle mitreißt. So zeigt der Fall der Laura Müller also nicht, dass diese Frau sich verkalkuliert hat und ein Opfer ihrer unmöglichen Liebe geworden ist, sondern macht sichtbar, dass auch wir verletzlich sind:

Was ist, wenn ich heute nicht mehr performen kann wie gestern? Was ist, wenn meine Statussymbole verschwinden? Was, wenn eine Beziehung zerbricht? Wer werden wir sein, wenn der Markt uns nicht mehr will – und wer wird Laura Müller sein?

Bezeichnenderweise ist sie in den letzten Monaten vor allem eins: abwesend. Lebenszeichen umfassen die Aussage, sie sei neutral wie die Schweiz und Werbung für den rechten, verschwörungsfreundlichen Kopp-Verlag. Deren angebotenen Vitamine seien halt einfach super für die Haare. Zwischendurch kauft sie einen Hund und versucht Dogfluencerin zu werden oder kokettiert mit einer vermeintlichen Schwangerschaft, in dem sie durch Emojis ihren Bauch verdeckt. Was kann danach kommen? Wir werden es sehen, denn Gott sei Dank kann die Medienlandschaft auch Scheitern ökonomisch verwerten. Vielleicht können wir schon in ein paar Jahren ihre Comeback-Autobiographie lesen.

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