Denk-Mal. Notizen einer Touristin

Das hier, sagt die Städteführerin der „Alternative Tour“ und zeigt auf den Boden, sei die erste Form der Street Art. Millionen Fliesen pflastern den große Platz in Lissabon und fast die gesamte Innenstadt. Sie reflektieren die Sonne, tauchen die Stadt in ewig in schönes Licht. Gefangene legten sie, nachdem die Stadt durch Feuer und Tsunamis fast zerstört war. Die Fliesen bilden in ihrer Zusammensetzung Wellen, „because they stand for what has made the city big: conquer“. Eroberung.

Auf der Radtour am nächsten Tag kommen wir am „Denkmal der Entdeckungen“ vorbei. Eine weiße, 56 Meter hohe Konstruktion, die wichtige Seefahrer, in Stein gemeißelt, auf das Wasser schauen lässt.

Städtetrips sind im Allgemeinen deswegen so anstrengend, weil sie ein reines Kultur-, Architektur- und Geschichts-Binging sind. In wenigen Tagen verschlingt man so viele Essensspezialitäten, Aussichtsplattformen, Kirchen und funny lokale Sitten wie es geht.

Aber manche Dinge stößt man wieder auf. Die Worte „Gefangene“, „Wellen“ und „Conquer“ lassen sich schwerer verdauen. Ich beobachte die Leute an dem Denkmal; sie machen Fotos, sonnen sich auf dem Platz davor und am Ufer. Lesen die angebrachten Tafeln. Mit dem wenigen Datenvolumen, was ich habe, versuche ich eine Einordnung des Denkmals zu bekommen. Es ist Heinrich dem Seefahrer gewidmet, dessen „Entdeckungsreisen“ den Stein für die ‚europäische Expansion‘ (=wirtschaftliche, mentale, kulturelle Ausbeutung, die wir heute als Kolonialismus bezeichnen) begründeten.

Ein Artikel von Deutschlandfunk verrät mir, dass Portugal noch keine Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit vorgenommen hat.

Es ist merkwürdig, eine ehemalige Kolonialmacht als Tourist zu besuchen und sich an dem Glanz der Fliesen und den imposanten Gebäuden zu erfreuen. „Es ist so schön hier“, folgt schnell dem Gedanken; „und nicht ohne Grund“. Es ist merkwürdig, eine ehemalige Kolonialmacht zu besuchen, wenn man selbst aus einem Land kommt, in dem die Diskussionen um Raubkunst, die Umbenennung von Straßen und die Zurückgabe der Knochen der Hereros noch nicht abgeschlossen sind.

Who am I to judge. Und auch wenn Denkmäler irgendwann zu Mahnmalen umfunktioniert werden, wenn Reparationszahlungen endlich gemacht werden, wenn die historische Schuld anerkannt wird. Auf diesen Fliesen werden wir immer laufen.

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