Der Appell, doch mal bitte das Handy wegzulegen ist längst nicht mehr nur eine Forderung von besorgten oder genervten Eltern. Viel mehr ertönen die mahnende Ratschläge dazu, wann und wie das Smartphone benutzt werden sollte von allen Seiten. Und sie sind auffallend häufig an sogenannte Frauen gerichtet.
Ist es nicht paradox, dass ich Argumente für weniger Handykonsum genauso suchte wie Nachrichten-Apps, Podcasts und Social Media? Instagram macht uns krank. Unser Handy ist Gift. Das trichtern uns auch Vertreter*innen der Self Care ein und sprechen sich für gemaßregelten Konsum von Social Media aus – obwohl sie dort am sichtbarsten sind. Denn bei Insta und Co. seien wir Körperidealen und Vorstellungen vom perfekten Leben ausgeliefert: Die toxischen Bilder und captions brennen sich demnach in unser Gehirn ein und werden sofort in gestörte Selbst-und Körperbilder übersetzt. So das Argument. Die Lösung ist jedoch nicht das sofortige Löschen des eigenen Accounts oder das Umsteigen auf ein altes Nokia. Vielmehr sind die User*innen dazu aufgefordert, selbstbestimmt den eigenen Insta-Feed so mit Inhalt zu füllen, dass der Selbsthass minimiert wird und guter Content, wie wichtige Tipps zu Mental Health oder Antidiskriminierung perönlich bereichert. Dass man dabei schnell von einem unrealisierbaren Ideal ins nächste tapsen könnte, ist klar: Denn wenn mich persönlich eins stresst, dann wie viele Info-Grafiken mir in meinem Insta-Feed suggerieren, ich hätte Anxiety, unaufgearbeitete Traumata und müsse an meinen „emotional boundaries“ arbeiten.
Aber besser noch, da sind wir uns ja alle einig, ist weniger Medienkonsum. Einfach mal ‚abschalten‘ wusste der Typ von Löwenzahn und wissen wir im Prinzip auch. Autorin Svenja Gräfen hat es mal so passend formuliert, als sie sagte, dass sie oft nichts auf ihrem Insta-Profil teilt, um ihre Follower*innen nicht mit noch mehr Zeug aka Content zu überlasten. Unser Gehirn sei eben nicht dafür gemacht innerhalb von wenigen Sekunden Bilder und Sätze aus hunderten, nicht zusammenhängenden Kontexten zu verarbeiten. Wörter wie „digital detox“ machen es deutlich: Unser Handy ist Gift und wir sind Junkies. Warum?
Am Handy sein ist Zeit zum Ausloggen von der Welt und minimale Anstrengung: Nur schlafen ist weniger Bewegung als mit dem Daumen über einen Screen zu scrollen und sich von jemandem unterhalten zulassen, der*die ihren Hund beim menschenähnlichen Grinsen gefilmt hat. Was oft fehlt in der Diskussion um Smartphone-Konsum ist die Kritik an dem, was uns da so erschöpft.
Nehmen wir zum Beispiel das wunderbar seichte Chick-Lit-Buch, das ich zum Einschlafen lese, „Auf dich war ich nicht vorbereitet“ von Anna Belle (was ein Name!). Die Protagonistin ist Millenial und Twitter-Suchti – bis ihre Schwester sie zwingt, einen digital detox in einer Hütte im Wald zu machen: Und siehe da, plötzlich wird ihr klar, was wirklich wichtig ist: Familie, Zeit in der Natur und heteronormative Partnerschaften. Was die Geschichte nur ganz nebenbei erwähnt, ist, dass Daisy (was ein Name!!) völlig überarbeitet ist, es vor lauter Überstunden nicht schafft, zu duschen und keine Anerkennung in ihrem Job bekommt. Hätte sie sich die Renovierung der Hütte und die sexuelle Belästigung von einem der ländlichen Nachbarn sparen können, wenn sie einfach bessere Arbeitsbedingungen gehabt hätte? Who knows.
Aber diese, mit einer kapitalismuskritischen Haltung verwobene Argumentation gegen übermäßige Handynutzung ist – möge sie funktionieren oder nicht – nur eine von vielen. Allen mehr oder weniger gemein ist, was in den bereits genannten Beispielen schon anklingt: Menschen sollten weniger am Handy sein, aber Frauen sollten noch viel weniger am Handy sein.
Wer erinnert sich nicht an Ariana Grandes viel zitierten feministischen Moment, als ihre männlichen Interviewer sie dafür loben wollen, dass sie eine ganze Mahlzeit ohne ihr Handy verbringen kann. „Ladies learn!“, sagt der Interviewer an die Zuhörer*innen gerichtet. „Boys learn!“, entgegnet Grande und akzeptiert nicht eine Sekunde der Taktik, Frauen Komplimente zu machen, indem andere Frauen abgewertet werden.
Dieser Moment ist ein Beispiel dafür, dass die Forderung nach weniger Zeit am Handy manchmal in erster Linie eine Forderung nach mehr Zeit für Männer und ihre Bedürfnisse ist, oder aber ihrer Idee davon, wie Frauen sich verhalten sollten:
Genau das sehen wir auch in dem beliebten Serienmörder Joe Goldberg der Netflix-Serie You, der, bevor er seinen love interest am Ende tötet – zuerst ihre Aktivität auf Instagram infragestellt. Er, der für die ‚alten‘ Medien, für Bücher, Romantik und echte Tugenden steht, kritisiert die ’neuen‘ Medien, die schließlich seine Waffe werden.
Hier eine Zusammenstellung seiner wichtigsten Gedanken dazu, die er niemals direkt an die Frauen, sondern an uns als Zuschauende richtet:
- „Hello. Who are you? All your accounts are public, you want them to see you, to listen to you, to know you. And I thank you.“
- „You wear the wide blouse, you do not want to be eaten with your eyes. But your bracelets tinkle, you want to get attention.“
- „Your social networks lie, they say you’re carefree. But underneath that you seem to be someone authentic.“1
Joe ist ein bisschen so paradox wie wir. Er hasst, dass seine Girls Social Media nutzen und er braucht die Plattformen, um sie zu kontrollieren. Er würde sagen, dass seine Traumfrau letztlich stirbt, weil sie sich mit den falschen Menschen abgegeben hat, die nur ihr Social Media-Ich kennen. Wir Zuschauenden bekommen den Eindruck, dass sie stirbt, weil sie zu viel teilt. So oder so: Weniger Social Media hätte ihr wohl gut getan. Und auch die Protagonistin in meiner Einschlaflektüre findet ja ihr Happy End!
Aber ob zu wenig oder zu viel, das liegt ja auch im Auge des Betrachters. Schließlich klagt doch Drake in Hotline Bling „You used to call me on my cell phone / Late-night when you need my love / Call me on my cell phone“.
Also bitte mehr Handy, aber halt mehr Handy für ihn. Im Grunde geht es sowohl bei Drake als auch Joe um den Wunsch, dass Frauen präsent und verfügbar sind und ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Als Pauschalanschuldigung gegen Frauen erscheint diese Kritik an der Mediennutzung vor allem als eine Wiederherstellung des Machtverhältnisses. Du musst doch mir hinterherlaufen, nicht andersherum? Und überhaupt: Eine gesellschaftliche Erwartung an Frauen ist es ja, freundlich und angenehm in sozialen Situationen zu sein, oftmals als sozialer Puffer zu wirken, immer Small Talk Themen bereitzuhalten, keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen, zu befrieden. Wie kann sie das machen, wenn sie die ganze Zeit am Handy hockt?
Und so wird das Handysuchten fast schon zum Widerstand, nicht nur weiblicher Personen: Eine Weigerung zu interagieren. Denn das ist das Handy eben auch: Entzug. Von einer Arbeit über Erschöpfungsgrenzen hinaus, von einer wahrgenommenen Einsamkeit oder von Männern, die eine*n zulabern wollen. Und ja, es ist auch Selbstdarstellung, der Weg in communties, die sich nur online treffen (können) und mentale Überforderung. Es ist komplex, und es bleibt paradox.
1 You, 2018, Warner Bros. Television Distribution, Netflix.