Blurred Lines Reloaded: Choice-Feminismus und Emily Ratajkowski

Emily Ratajkowski verkörpert viele Dinge: Das vorherrschende Schönheitsideal, Mode, Filmrollen und nicht zuletzt die immer wieder hitzig diskutierte Frage: Wie sehr darf eine Frau einem Ideal entsprechen und sich so inszenieren (lassen), um noch als selbstbestimmt zu gelten? Eine Frage, die sich gerade jetzt noch einmal aufgreifen lässt, denn Emrata und ihr Körper haben noch etwas anderes getan: Ein Buch geschrieben. Zeit für eine kleine Auseinandersetzung mit einer Frau, der ich nicht folgen kann.

2013 tanzte ein Model sich durch das Musikvideo von Robin Thickes, Pharells und TIs „Blurred Lines“ und hin zu einer Karriere als Supermodel, Schauspielerin und Influencerin. Was war damals so aufsehenerregend an dem Video? Nackte, sexistisch inszenierte Frauen, die mit Schuhen auf dem Rücken und Lollies posieren und sich von Männern Zigarettenrauch ins Gesicht pusten lassen, während die Lyrics versprechen „I’ll give you something big enough to tear your ass in two“ und rape-culture-affin vermuten: „I know you want it“: Zu der Zeit im Grunde nicht überraschend problematisch. Es kann auch nicht der monotone und trotzdem unheimlich catchy Beat gewesen sein, der etliche ebenso catchy Parodien nach sich zog. Was die Öffentlichkeit damals wirklich faszinierte war, dass der sexistische Inhalt vehement als feministisch bezeichnet wurde. Von der Regisseurin Diane Martel – und von dem tanzenden Model, das gleich zum Shooting Star avancierte: Emily Ratajkowski aka Emrata.

All about choice: Emratas Aufstieg und die Popularisierung des Feminismus

Der Song wurde zum Kristallpunkt dessen, was 2013 so richtig in Fahrt kam und als Popfeminismus bezeichnet wird: Die Verbreitung feministischer Ideen oder Phrasen in Mainstream Medien, durch große Künstler*innen wie Beyoncé oder Firmen, die auf den Zug aufsprangen, wie Dove und H&M. Dass Feminismus so präsent wurde hatte auch den gesamtgesellschaftlichen Eindruck zur Folge, er sei eben schon da, umgesetzt, angekommen. Who run the world? Girls. The future is female. Girls rule. We can do it. Girl Power. Die Ermächtigung der Frauen wurde zumindest rhetorisch erreicht. Entsprechend erlebte auch der choice-Feminismus einen Höhepunkt. Darin wurde und wird der Fokus auf die Entscheidungsfreiheit von Frauen gelegt, die noch zentraler und feministischer ist, als die Art der Entscheidung selbst.

Und so wurde eben auch das ironische Lachen über sexistische Inhalte wie Musikvideos oder Über-Machos wie Barney von How I Met Your Mother zum Trend. Als seien wir darüber hinweg, (denn wir wissen ja, wie sexistisch das ist und daher ist es eine harmlose Wiederaneignung). Oder, um es mit den Worten von Robin Thicke zu sagen: „What a pleasure it is to degrade a woman. I’ve never gotten to do that before.“

Eingeläutet wurde mit „Blurred Lines“ also ein paradoxes Jahrzehnt, in dem einerseits Colleges den Song offiziell verbannten und ich mich mit Anfang 20 biertrinkend an den Rand der Tanzfläche verzog, um meine sonst so kritischen Freundinnen beim taktvollen Wippen zum Beat zu beobachteten. Und andererseits zog Emrata die nächsten Jahre nicht nur einen Werbe- und Modellauftrag nach dem anderen an Land, sie engagierte sich auch als Aktivistin für Frauenrechte und ließ sich bei einer Demo medienwirksam verhaften. Die Frau also, die ihre Wahl, in dem Musikvideo mitzumachen verteidigte, setzte sich auch für die Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper ein und popularisierte gleichzeitig spaßige neue Körpertrends, wie den ‚ab crack‘. Natürlich wäre es jetzt ein leichtes, Ratajkowski dafür zu verurteilen. Interessanter ist aber, darüber nachzudenken, dass sie als öffentliche Person so symptomatisch ist für Fragen, um die sich viele feministische Debatten kreisen:

Ist das Billie Eilish Cover der Vogue ein ikonischer Moment des Empowerments? Sind brazilian butt lifts Zeichen körperlicher Selbstbestimmung und Kinofilme über SM-Beziehungen befreiend? Ist das deine Wahl oder ist das schon Popfeminismus? Und warum löst das alles in mir oft nichts weiter als ein Gähnen aus, oder den Impuls, extrem langsam zu klatschen.

Kurz: Viele Diskussionen drehten und drehen sich um die Frage, ob es denn auch feministisch sei, sich selbst so zu inszenieren, wie es ansonsten ‚dem Patriarchat‘ vorgeworfen wird. Ist ja schließlich die eigene Entscheidung. Die Wahrheit ist, ich will wirklich nicht mehr darüber sprechen, ob alles immer eine individuelle Entscheidung ist oder wir nur Marionetten sind, die die Schönheitsideale unserer Macher besonders dann gerne kaufen, wenn sie mit 99% feministisch gelabeled sind.

Nicht jede Wahl ist feministisch, so wie nicht jedes Brot feministisch ist. Warum muss eigentlich alles was wir machen feministisch sein? Feministisch einkaufen, feministische Lohnarbeit suchen, feministisch essen und fernsehen. Viel lieber will ich darüber sprechen, warum Emratas Buch es schafft, über eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper die Kategorie der ‚Wahl‘ zu sprengen.

Eine Auto(körper-)biographie

Ratajkowskis erstes Buch ist benannt nach dem, was sie vermeintlich berühmt machte. „My Body“ ist eine Sammlung von Essays, in denen sie ihr komplexes Verhältnis zum eigenen Körper in Beziehung zur eigenen Familie, der Gesellschaft, Modeindustrie und creepy Typen im direkten und weniger direkten Umfeld auslotet. Beeindruckend ist nicht nur Emratas Debüt als vielversprechende Autorin – das vielleicht auch deswegen beeindruckt, weil es eben doch noch nicht von einem Model erwartet wird, auch schriftlich versiert zu sein. (Die Körper-Geist-Trennung kommt hier sehr bildhaft zu Tragen.)

Faszinierend ist zweitens, dass die Autorin, die früher auf ihre Selbstbestimmtheit beharrte, ihr Buch spickt mit Uneindeutigkeiten, Ambivalenzen und Zufällen, welche die Handlung und ihre Karriere vorantreiben.

Ratajkowski wächst als Tochter einer außergewöhnlich schönen Mutter auf, lernt früh, dass ihr Aussehen ihren Wert bestimmt und ist gerade Teenagerin, als die Blicke von Männern zweifelhafter und die Sorgen der Eltern größer werden. Im Prinzip buchstabiert Emrata ihre Sozialisation als weiße Frau aus, was per se eine Infragestellung zumindestens aber Kontextualisierung ihrer ‚freien‘ Entscheidungen als erwachsene Frau beinhaltet.

Doch genau hier ist auch der Knackpunkt: Denn in dem Buch sind sie schwer zu finden, die Entscheidungen. Emratas Karriere scheint einfach so zu passieren.

Anscheinend erinnert sie sich zum Beispiel nicht, dass sie beschließt Model zu werden, sondern nur an ihre Mutter, die ihr von dem allesentscheidenden Moment berichtet. Später dann liegt ihr nichts an dem Beruf und dem Lifestyle. Parties mit Millionären, das Musikvideo zu „Blurred Lines“, internationale Kampagnen, Einladungen zu Traumreisen. All das passiert ihr; vergebens sucht man nach den Momenten, in denen sie ihr Outfit oder das Styling genießt, den Champagner oder die Parties feiert wie ein Supermodel.

Keineswegs wirkt sie dabei komplett planlos. Sie schildert auch die Gelegenheiten, in denen sie gerade das Außenbild eines jungen und unerfahrenen Models nutzt oder es eklatant bricht (z.B. durch ihr Kunstwissen), um die Aufmerksamkeit der mächtigen Männer der Branche zu gewinnen.

Dann wieder ist alles Zufall. Ihr schlanker Körper, der eingefallene Bauch sind – wenn man dem Buch glauben darf – das Produkt einer ordentlichen Grippe, deren Gewichtsverlust sie nie wieder aufgeholt hat. Vergeblich sucht man nach Passagen, in denen sie über harte Ernährungs- oder Workoutpläne spricht. Die Schönheit fällt ihr einfach so in den Schoß. Das Gegenteil von dem, was sowohl Body Positivty als auch die klassischere Mode- und Schönheitsindustrie vermittelt: Konventionelle Schönheit ist Arbeit – aber nicht für Emrata.

„Geld“ lautet die einzige Motivation hinter Ratajkowskis Karriereentscheidungen. Sie ist getrieben von der Angst, wie Bekannte durch die Finanzkrise 2008 ökonomisch abzusteigen. Dass sie diese Erklärung selbstkritisch reflektiert, schildert sie in einer Erinnerung an ein Fotoshooting, bei dem sie nackt auf einem Bett für den Fotografen posiert, und sich ihre eigenen Beweggründe selbst nicht wirklich abkauft.

„Wir verarschen die da oben alle nur“, erklärt Emrata sinngemäß auch ihrem Freund, als sie eine gesponserte Reise in einem Ressort machen – keiner der beiden ist überzeugt. Emrata lässt keine einfachen Antworten zu. Sie weiß, dass sie dieses Buch vielleicht niemals geschrieben hätte, wenn sie sich nicht vor Robin Thicke ausgezogen hätte. Sie bezeichnet sich selbst als „Hustler“. Modeln ist der Job, der ihre Rechnungen bezahlt, erklärt sie, als auch die Interviewerin in einem Podcast feststellt: „You don’t seem to like it.“ Muss sie das?

Und dann ist da natürlich noch ein Aspekt, der Ratajkowskis körperliche Selbstbestimmung wiederholt verletzt: Die sexuelle Gewalt von Männern, der sie lebenslang ausgesetzt ist, von guten Bekannten, ihrem Freund, und einem Fotografen. Ihre körperliche Autonomie ist nicht nur verletzbar, sie ist umkämpft. Wortwörtlich veranschaulicht ist dieser Kampf auch durch die Bilder von Ratajkowskas Körper. Mehr als einmal versuchen Männer erfolgreich, Bilder von ihr unabgesprochen zu Kunst zu machen, also teuer als Werke oder Bücher zu verkaufen.

Als Objekt des männlichen Blicks existiert ihre Entscheidungsfreiheit nicht. Der Körper und alle Abbildungen davon gehören eben nicht der dazugehörigen Frau, sondern der Öffentlichkeit. Zwischen ihnen steht nur der Markt. Doch Emrata lernt, wie sie ihn selbstbestimmt bespielt. Auch der Videodreh zu „Blurred Lines“ wird thematisiert. Die Autorin beschreibt die ausgelassene Stimmung am Set und ein Detail, das 2013 in den darauffolgenden Interviews ausgelassen wurde: Das körperlich übergriffige Verhalten Thickes. Ratajkowski macht jedoch in dem erwähnten Podcast-Interview noch einmal deutlich, dass sie die übergriffigen Männer nicht als Täter entlarven will, nicht moralisch verurteilen. Ihr gehe es vielmehr darum, zu fragen, welche gesellschaftlichen Strukturen hinter missbräuchlichem Verhalten liegen und welche eigenen Fehler sie gemacht habe. Sie glaubt nicht, dass Macht bedeutet „Nein“ sagen zu können, weil jede Entscheidung von gesellschaftlichen Umständen beeinflusst ist, die wiederum nicht in unserer Macht liegen.

Und so scheint es, dass Emrata die postmoderne Infragestellung der Selbstbestimmtheit übernimmt und auf ihr Leben und alle Menschen darin bezieht. Die Frage ist dann nicht mehr: Wie handle ich richtig? Sondern: Welche Machverhältnisse steuern meine Handlungen – und lassen mich denken, es sei mein freier Wille?

Und so schwankt der Eindruck, den wir von Emrata erhalten von einer Frau, die das Business kennt und geschickt auszunutzen sucht und einem Model, das eigentlich gar keines sein will und das da durch seine Schönheit irgendwie reingeraten ist. Autobiografien stellen oft die Handlungsfähigkeit ihrer Protagonist*innen in den Vordergrund – gegenüber Umständen, Schicksalsschlägen, Widrigkeiten – und leben von Momenten der Entscheidung: Gehen oder Bleiben? Kämpfen oder Aufgeben? Doch Emrata verweigert schon durch die Essay-Form ihres Buchs das Spannen eines großen Bogens. Sie zeigt uns Fragmente ihres Lebens, weil sie keine Heldinnengeschichte zu erzählen hat. Weil sie eben diese Handlungsfähigkeit infrage stellt und dadurch Widersprüchlichkeiten zulässt.

„I hate these blurred lines“

Wer zynisch ist (me!), mag sich fragen, ob ein solches Buch vielleicht (auch) ein weiterer geschickter rhetorischer Trick ist. Denn dadurch, dass Emrata behauptet, sie sei nur irgendwie fürs Geld in den Modeljob reingerutscht, sehe das ganze nicht als Passion, sondern wolle die sexistischen Strukturen der Industrie herausstellen – dadurch macht sie sich unangreifbar. Macht und Entscheidungen als gesellschaftlich hervorgebracht zu sehen, ist bestimmt wichtig in einer Welt, in der Selbstoptimierung und Eigenverantwortlichkeit als politische (auch feministische) Lösungen propagiert werden – aber es ist eben auch ein Weg, um Distanz zu schaffen zwischen den Machern der Industrie und Emrata, kluger Beobachterin.

Wie wir anhand des Insta-Feeds der Autorin schnell feststellen können: Um das Geld zum Überleben, ums hustlen, geht es längst nicht mehr. Ratajkowski posiert für die großen Make-Up-Labels und sie schmiegt sich an Coca Cola Dosen. Sie führt ein eigenes Bademoden-Unternehmen, dessen Model mit ähnlich unfassbar glatten, perfekten Körpern die winzigen Bikinis präsentieren. Es bleibt offen, inwiefern Emrata ihre eigene Komplizinnenenschaft außerhalb des Buchs anerkennt. Die kritisierten Industrien ebenso wie die Geschlechterverhältnisse bestehen eben aus Menschen, die sie vorantreiben. So „blurred“ diese Grenzen zwischen Mensch und Gesellschaft auch sind; mit so viel Kapital im Hintergrund – und hier sind wir bei Machtverhältnissen neben einer Geschlechterordnung, nämlich class, – hat jemand sehr wohl eine Wahl.

Und vielleicht ist es genau deswegen so wenig hilfreich, zu behaupten, dass Frauen eine Wahl hätten sei schon feministisches Empowerment: Es ist zu kurz, zu eindimensional gedacht. Vielmehr ist die eigene Situation durch so viel mehr weniger gute oder extrem hilfreiche Umstände geprägt (Geld und eine Akademiker*innenfamilie z.B.). Man kann nicht ’nur‘ eine Frau sein.

Mein persönliches Fazit? Zwar werde ich Ratajkowskis widersprüchlicher Logik ebenso wenig wie ihrem Instagram Account folgen können, ohne in Sinnkrisen zu verfallen. Aber: Ihr Buch hat meinen scharfen, kritischen – sicherlich durch girl hate beeinflussten – Blick auf sie weicher gemacht. Und dadurch irgendwie auch auf mich.

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