Wir sollten mehr über Marilyn Monroe sprechen – hat niemals jemand gesagt. Denn die Ikone ist überall und jederzeit präsent. Zuletzt in der Debatte darum, ob Kim Kardashians Met-Gala-Auftritt in Monroes Kleid in Ordnung war. Darf sie das?, heißt es da mal wieder. In den hitzigen Diskussionen darum ging es vordergründig um die Substanz des Kleides, vor allem aber: um das Verlangen, sich zu erinnern.
Von good und bad girls
Wenn jemand in den USA fragt: „Ist sie eine Jackie oder eine Marilyn?“, dann ist damit nicht weniger gemeint als die Frage: Ist sie eine moralisch anständige Frau, eine zukünftige wifey und Mutter, wie eben Jackie Kennedy? Oder ist sie eine sündenhafte Verführerin, die als Affaire, spaßiger Zeitvertreib, nicht aber als ernstzunehmende Partnerin gelten kann? Personifiziert durch Marilyn Monroe. Wie kann es also sein, dass in der Diskussion um Kim Kardashians Met-Gala-Auftritt gerade Marilyn als der Engel und Verkörperung echter, perfekter Weiblichkeit erscheint? Und Kim K. dagegen als unwürdiger Abklatsch?
Eine kleine Abhandlung über Stars, Nostalgie und – wie könnte es anders sein – Geschlecht.
Wie echt ist das Bild, das wir von Stars haben?
Diese einfache Frage erklärt alles, was den Starkult betrifft, schreibt der Forscher Richard Dyer. Im Zentrum jeder Verehrung, jeder Abneigung, jedes Zweifels steht die Frage, wie echt die Gefühle der Stars zur eigenen Arbeit sind. Wie authentisch ist ihre Liebe zu den Fans, wie sehr entsprechen sie dem Image, das sie uns auf Red Carpets und Oprahs Sofa von sich vermitteln. Liegen ihnen die Themen ihrer Filme wirklich so am Herzen? Waren die Tränen im Musikvideo fake? Ist ihre Liebesbeziehung auch privat so (un-)harmonisch wie bei Instagram?
Um das herauszubekommen lesen wir, lauschen Interviews, verfolgen die Social Media der Berühmtheiten, ihre Serien, Bücher, Statements, Oskarreden. Und wenn sie erst einmal tot sind, geht die Suche nach Antworten weiter: War er glücklich? War alles in Wirklichkeit ganz anders?
Dann werden alle Medienschnipsel, die man von den Stars hat analysiert, kategorisiert und in endlos neue Kontexte gebracht, Biografien geschrieben, Dokumentarfilme gemacht, Angehörige befragt, die wiederrum ihre eigenen Wahrheiten über die Person produzieren und die wir glücklich einkaufen.
Marilyn für alle, Marilyn für immer
Warum betone ich das so? Weil Marilyn Monroe das vielleicht prägnanteste Beispiel für diese Suche nach Wahrheit ist. Ihr sagenumwobener Tod hat sie endgültig in den Starhimmel katapultiert. Zu ihren Lebzeiten schon gab es verschiedenste Versionen der Marilyn: Marilyn als Sexsymbol, Marilyn als tragische Affäre der Kennedys, Marylin als Kommunistin, Marilyn als Filmstar, Marilyn als dumme Blondine. Gloria Steinem schreibt in ihrem Essay „The Woman Who Will Not Die“, dass Monroe die Fantasien der Menschen beherrschte, eine Projektionsfläche, die noch größer wurde, als der Star bereits mit 36 frühzeitig starb: Was hätte sein können? Richard Dyer argumentiert, dass es vor allem Monroes Körper war, der zu ihren Lebenszeiten als Garant für ihre Authentizität galt, als letzter unveränderbarer Beweis. Ihre „Kurven“ erzählten von unhinterfragbarer Sinnlichkeit, Erotik, purer Weiblichkeit.
Steinem und Dyer versuchen damit zu erklären, warum sich in den 60 Jahren nach Monroes Tod ein ungebrochener Marilyn-Hype entwickelte und warum ihr Bild bis heute überall ist: Als Magnet im Souvenirshop in Südostasien, als Dekoelement in einem Burgerladen im Ruhrgebiet, als Vorbild für Musikvideos, als Ikea-Print, als Netflix-True-Crime-Doku als noch ein weiterer Film. Und nicht zuletzt als Inspiration für einen Met-Gala-Look, den von Kim Kardashian.
Wie ironisch also, dass Marilyn, der so viel ‚Echtheit‘ zugesprochen wird und wurde, deren ‚Echtheit‘ immer Gegenstand von Suchbewegungen war (Warum ist sie wirklich gestorben?) gleichzeitig in millionenfachen Kopien, Farben, Formen, Medien existiert.
Wie ironisch oder vielsagend auch, dass nun gerade Kim Kardashian in Kritik steht, dass Kleid der Ikone getragen zu haben, also die Frau, der Unechtheit in Form von operierter und modifizierter, durch Filter dargestellter und verzerrter Körperteile permanent vorgeworfen wird.
Ein Abend, ein Kleid, eine Frau zu viel
Was ist passiert? Kim K. lieh sich für die Met-Gala das Kleid, in dem Marilyn Monroe wenige Monate vor ihrem Tod „Happy Birthday, Mr. President“ für J.F. Kennedy sang. Das mit Strasssteinen bestickte Kleid ließ Marylin damals fast nackt aussehen und heizte die Gerüchteküche um eine vermeintliche Affäre mit dem Staatsoberhaupt an. Ein historischer Moment der Popkultur, der durch Monroes Tod ein paar Monate später noch einprägsamer wurde. Kim Kardashian, die das Kleid von dem Museum Believe it or Not! lieh, trug es auf dem roten Teppich nur für wenige Minuten.
Der Aufschrei war groß,
- weil Kim öffentlich zugab, innerhalb weniger Wochen viel Gewicht abgebaut zu haben, um in das Kleid zu passen. So was hört man in Body Positivity Zeiten natürlich gar nicht gerne. Wie passt das denn zur self love, wenn man das eigene körperliche self kleinhungert? Kardashian entgegnete schnell, dass Schauspielende ja auch Gewicht für ihre Rollen verlieren würden.
- weil das Kleid zu fragil sei, um es noch zu tragen. Auch wenn durchaus anerkannt wird, dass das Kleid nach 60 Jahren eh nicht mehr in dem gleichen Zustand ist wie damals. Doch dass es bis zum Ende der Menschheit erhalten werden soll, scheint unhinterfragt. Es wird zum historischen Gut deklariert, gleichzustellen beispielsweise mit den Outfits von den First Ladies der USA, die ebenfalls im Met-Museum ausgestellt sind. Auch Wochen nach dem Auftritt kursierten Bilder von dem ‚zerstörten‘ Kleid, von losen Fäden und Strasssteinen, Rissen. Ein Shitstorm gegen das Museum folgte, Modeblogger wie Diet Prada heizten die Diskussion an.
- weil Kim Kardashian einfach nicht das Recht habe, das Kleid der Ikone zu tragen. Das wird durch etliche Umfragen à la „Darf sie das?“ ebenso deutlich wie durch die Wortwahl im deutschen Fuielleton, wo von „Schnappatmung“ und „Herzinfarkt“ die Rede ist. Das Kleid passe metaphorisch und buchstäblich nicht zu Kardashian, es wurde „gemunkelt“, die Reality Queen habe eine Stola tragen müssen, um zu kaschieren, dass das Kleid sich nicht schließen ließ. Sie habe es auch eh nur für Publicity getan, da sind sich alle einig.
Kurz: Alle unzufrieden: Konservator*innen, Designer*innen, Historiker*innen, Modeliebende und solche, die Kim Kardashian einfach hassen.
Warum die erhitzten Gemüter, frage ich mich? Geht es hier wirklich um ein Kleid, das ohne Frage ein Kunstwerk ist, aber vermutlich nicht dazu gedacht war, das Millenium zu überstehen? Wovor haben die Leute eigentlich Angst?
Ein Kleid ist ein Kleid ist ein Kleid
Natürlich ist ein Kleid mehr als nur Stoff, und das was mit ‚historischer Bedeutung‘ umschrieben wird, geht über den Geburtstag von JFK und eine angebliche Liasion hinaus. Der Soziologe Georg Simmel schrieb bereits vor über hundert Jahren über Mode als Differenzierungs- und Imitationsmechanismus. Das heißt: Durch Mode versuchen wir, uns sowohl einer sozialen Gruppe zuzuordnen (wie einer bestimmten Klasse, einem Geschlecht), als auch von einer anderen abzugrenzen. Mode als sichtbare soziale Abgrenzung.
Marilyns Kleid war also nicht nur schön; es war schön, weil es teuer war, es war aufwendig produziert, es stand für Berühmtheit, für Glamour, high class und für das Weiblichkeitsideal der Nachkriegszeit, das Marilyn wortwörtlich verkörperte.
Es gibt nur ein Exemplar dieses Kleids, es ist wirklich einzigartig, echt, so wie Marilyn selbst. Deren Bild im Gegensatz dazu in einer endlosen Schleife der Reproduktion gefangen zu sein scheint.
Die Menschen wollen etwas ‚Echtes‘, um sich zu erinnern. Und geht es nicht genau darum, bei der Bewahrung ‚alter‘ Kleidung oder auch dem Auflebenlassen alter Modetrends? Die Kulturwissenschaftlerin Linda Hutcheon sagt, Retro-Fashion sei nicht einfach ein Erinnern, sondern eine Auseinandersetzung mit Ideologien der Vergangenheit und ihren Bedeutungen für die Gegenwart. Wir erinnern uns (gerne), weil das Kleid mit einer Zeit verstrickt ist, einem Moment US-Amerikanischer Geschichte.
Es ist die Nostalgie, die aus den anklagenden Kommentaren zu Kardashians Met-Gala- Auftritt spricht. Es ist die Sehnsucht, nach einer Zeit der ‚echten‘ Stars, die für mehr als ihre Sextapes bekannt waren. Einer Zeit, in der die nette Blondine, einfach nicht den Richtigen traf. Sie wollte doch nur Liebe! Und ein Kind! Und ein gutes Leben.
Forscherin Svetlana Boym schreibt, dass Nostalgie eine Reaktion auf gefährdete, oder sich verändernde Konzepte eines Staats, einer Ethnie oder eines Geschlechts ist. Die USA, wie kein anderes Land, erinnern sich immer wieder daran, wer sie sind, als Nation. Ein Versuch, ein positives und zusammenhängendes Selbstbild zu entwerfen. Der Blick zurück fällt leicht: Die riesige Unterhaltungsindustrie verwertet alle Bilder in Endlosschleife, bis sie zum kollektiven Gedächtnis werden: Elvis mit perfektem Haar, Martin Luther King uns das immer gleiche Zitat, die netten Hippies der 70er, die Mondlandung, Audrey Hepburn mit Perlenkette.
Und wer anderes als Marilyn impliziert mehr Nachkriegsaufschwung, goldene Zeiten, Kalter Krieg, Glamour, pure Weiblichkeit. Marilyn ist eine pure genuine Göttin, Kim Kardashian ist eine unechte Diva. Sie verschmutzt, nein sie zerstört das Ideal wortwörtlich durch das Tragen des Kleides. Marilyn-Verehrung, das ist ebenso eine Verschönung persönlicher und US-amerikanischer Geschichte wie offensichtliche Unzufriedenheit mit der Gegenwart.
Warum (manche) Frauen erst nach dem Tod verehrt werden
Da ist er also wieder, der klassische Madonna-whore-Komplex, der Frauen in zwei Kategorien einteilt. Marilyn wurde zu ihrer Zeit nicht als Madonna gesehen. Sie spielte die Rolle des ‚Dummchens‘, der Geldgierierigen, der Lasterhaften. Die Gegenüberstellung von ihr und Kim K. ist eine Umdrehung des Komplexes. Plötzlich ist es Marilyn, die zum Vorbild echter und guter Weiblichkeit wird. Kim K. dagegen ist die billige, die mit den Wasserstoffperoxid-Haaren, die belacht wird. Und nicht nur das: Sie ist ja auch eine Gefahr für alle Frauen, deren Verstand sie mit neuen Schönheitsidealen vergiftet.
Stars, so Richard Dyer, verkörpern Ideologien, und damit erhalten sie entweder den Status Quo aufrecht oder sie enthüllen ideologische Spannungen und Brüche. Ob sie es beabsichtigt hat oder nicht, ob es dreist war oder mutig, Kim K.s Auftritt zeigt einmal mehr: Als Frau kann man es in der Gegenwart oft falsch machen und genau dafür nach dem Tod gefeiert werden.
Literatur
Richard Dyer (1986). Heavenly Bodies: Film Stars and Society. Routledge.
Linda Hutcheon (2000). Irony, Nostalgia, and the Postmodern: A Dialogue.
Boym, Svetlana (2001). The Future of Nostalgia. Basic Books.
Bildquelle
Cecil Stoughton. White House Photographs. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston“ (Public Domain)